Russlands Krieg gegen die Ukraine

Ansprachen des ukrainischen Präsidenten in den ersten Tagen des Kriegs

Ansprache des Präsidenten der Ukraine, Volodymyr Zelens’kyj am 25.2.2022

Ruhm den ukrainischen Streitkräften! Ein Hoch auf die Jungs und Mädels, unsere Verteidiger! Ihr seid großartig, ihr verteidigt unser Land gegen einen der mächtigsten Staaten der Welt. Heute hat Russland unser gesamtes Staatsgebiet attackiert. Unsere Verteidiger haben heute Außerordentliches geleistet. Nahezu das gesamte ukrainische Territorium war direkten Angriffen ausgesetzt, doch sie haben es gehalten und versuchen, die Gebiete zurückzuerobern, die der Feind eingenommen hat, zum Beispiel Hostomel in der Nähe von Kiew. Das dient der Sicherheit der Hauptstadt. Nach vorläufigen Angaben haben wir heute bereits 137 Helden verloren, 137 Bürger unseres Landes, unter ihnen zehn Offiziere. 316 Personen wurden verwundet. Unsere Jungs auf der Insel Smijnyj, unsere Grenzsoldaten, die die Insel heldenhaft bis zum letzten verteidigt haben, sind alle umgekommen. Aber sie haben sich nicht ergeben. Ihnen allen wird postum der Titel „Held der Ukraine“ verliehen. Ewiges Gedenken denen, die ihr Leben für die Ukraine gelassen haben. [Gedenkminute]

Ich danke allen, allen, die in diesem Moment Menschen retten, die mithelfen, die Ordnung im Land aufrechtzuerhalten. Der Feind attackiert nicht nur militärische Objekte, wie er behauptet, sondern auch zivile. Er tötet Menschen und macht friedliche Städte zu militärischen Zielscheiben. Das ist niederträchtig, und es wird niemals verziehen. Ich weiß, dass jetzt viele verschiedene Informationen, viele Fake-News verbreitet werden, unter anderem auch die Information, ich hätte Kiew verlassen. Ich bleibe in der Hauptstadt, ich bleibe bei meinem Volk. Ich habe heute im Laufe des Tages Dutzende Gespräche auf internationaler Ebene geführt, bin den konkreten Staatsgeschäften nachgegangen, und ich werde in der Hauptstadt bleiben, auch meine Familie ist in der Ukraine, auch meine Kinder sind in der Ukraine. Meine Familienmitglieder sind keine Verräter, sondern Bürger der Ukraine. Aber wo sie sich derzeit befinden, darf ich nicht mitteilen. Nach unseren Erkenntnissen hat der Feind mich zum Ziel Nummer eins und meine Familie zum Ziel Nummer zwei erklärt. Ihr Ziel ist die politische Vernichtung der Ukraine, der Weg dahin die Tötung des Staatsoberhaupts. Uns liegen Informationen vor, wonach Sabotagetrupps des Feindes in Kiew eingedrungen sind. Deswegen appelliere ich an alle Kiewerinnen und Kiewer, seien Sie vorsichtig, halten Sie die Ausgangssperre ein. Ich bleibe im Regierungsviertel, zusammen mit allen anderen, zusammen mit allen, die für die Arbeit des Staatsapparates unentbehrlich sind. Ich habe heute mit den verschiedensten führenden internationalen Politikern gesprochen, sie alle haben mir Folgendes versichert: Erstens: Wir werden unterstützt, ich bin wirklich jedem Staat dankbar, der der Ukraine konkret hilft, und zwar wirklich konkret und nicht nur mit Worten. Aber es gibt noch einen zweiten Punkt: Bei der Verteidigung unseres Staates stehen wir allein. Wer ist bereit, an unserer Seite zu kämpfen? Ganz ehrlich: Ich sehe niemanden. Wer gibt der Ukraine eine Beitrittsgarantie für die NATO? Ganz ehrlich: Das traut sich niemand. Aus Moskau haben wir heute gehört, dass man doch zu Gesprächen bereit ist, dass man mit uns über die Neutralität der Ukraine sprechen will. Ich möchte allen Partnern unseres Landes sagen, jetzt ist ein wichtiger Moment, das Schicksal unseres Landes steht auf der Kippe. Ich frage sie: Steht ihr an unserer Seite? Sie antworten, ja, wir stehen an eurer Seite, aber wir sind nicht bereit, euch in unsere Allianz aufzunehmen. Ich habe heute die 27 EU-Staatschefs gefragt, ob die Ukraine der NATO angehören wird, ganz direkt habe ich gefragt. Alle haben Angst, keiner gibt Antwort, nur wir haben keine Angst, vor nichts. Wir haben keine Angst, unseren Staat zu verteidigen, wir haben keine Angst vor Russland, und wir haben auch keine Angst davor, mit Russland zu reden, wir trauen uns, über alles zu reden, über Sicherheitsgarantien für unseren Staat, wir haben keine Angst, über die Neutralität unseres Staates zu reden, denn wir sind ja jetzt nicht in der NATO. Aber welche Garantien werden wir bekommen? Und vor allem von welchen Ländern, ganz konkret? Natürlich müssen wir über die Beendigung dieses Überfalls, über die Beendigung dieses Krieges reden. Aber jetzt hängt das Schicksal unseres Landes voll und ganz von unserer Armee ab, von unseren Helden, von unseren Sicherheitskräften, von all unseren Verteidigern, von unserem Volk, von Ihrer Klugheit und von der umfassenden Unterstützung aller Freunde unseres Landes. Ruhm der Ukraine!

Ansprache des Präsidenten der Ukraine, Volodymyr Zelens’kyj am frühen Abend des 26.2.2022

Die Bereitschaft der Ukraine, unseren Staat zu verteidigen, unsere Solidarität und unser Mut haben den Plan, unser Land zu besetzen, vereitelt. Die Welt hat gesehen: Die Ukrainer sind stark, die Ukrainer sind mächtig, die Ukrainer sind mutig. Die Ukrainer sind in ihrem Heimatland und dieses werden sie niemandem überlassen.

So ist es keine Überraschung, dass ein solches Volk mächtige Freunde hat, mächtigere als der Feind. Ich habe heute im Laufe des Tages stundenlang mit den Chefs vieler Staaten gesprochen, die Freunde der Ukraine sind. Ein außergewöhnliches Ergebnis habe ich mit Italien erzielt. Dies ist wirklich ein neues Kapitel in der Geschichte unserer Staaten. Das Gespräch mit Ministerpräsident Mario Draghi hat dazu geführt, dass nun alles seine richtige Ordnung hat. Indien ist seit langem eine Weltmacht, ich habe mit Ministerpräsident Modi gesprochen und ihm über unseren Widerstand gegen den Aggressor berichtet. Ich habe seine volle Unterstützung erhalten. Ich danke auch meinem und unserem Freund Erdoğan für die uneingeschränkte Unterstützung unserer Unabhängigkeit und unserer territorialen Integrität. Wir haben heute vereinbart, dass die Zufahrt zum Schwarzen Meer für russische Kriegsschiffe gesperrt wird. Es ist umgesetzt. Ein guter Freund der Ukraine ist Ilham Hejdar Aliev, der Präsident Aserbaidschans. Ich habe ihm gesagt, dass es der Ukraine an Öl und Ölprodukten fehlt. Es ist nicht einfach, aber jetzt werden sie geliefert. Aliev und Erdoğan haben angeboten, Gespräche mit Russland zu vermitteln. Das möchte ich ausdrücklich begrüßen.

Auch mit dem Bundespräsidenten der Schweiz, dem Ministerpräsidenten Griechenlands und dem niederländischen Ministerpräsident Rutte habe ich gesprochen. Es scheint, die Ukraine hat die Aufmerksamkeit und Anerkennung der gesamten zivilisierten Welt. Und das praktische Resultat: SWIFT. Welche Bedeutung hat dieses Wort für Russland! Der Ausschluss aus dem globalen Finanzsystem. Unsere Diplomaten haben rund um die Uhr mit vollem Einsatz gekämpft, damit alle europäischen Länder sich auf eine starke und gerechte Entscheidung einigen und Russland vom internationalen Geldverkehr isolieren. Auch diesen Sieg haben wir errungen! Das sind Milliarden über Milliarden Verluste für Russland. Ein ganz konkreter Preis für die hinterhältige Invasion in unser Land.

Wir haben immer gesagt: Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Und das bedeutet: Wir können das Größte erreichen. Ich habe heute mit einigen Oberhäuptern ukrainischer Kirchen und Religionsgemeinschaften gesprochen: mit Metropolit Epiphanius, Patriarch der Orthodoxen Kirche der Ukraine, mit Metropolit Onufrij, Patriarch der Ukrainischen Orthodoxen Kirche,[1] mit Scheich Tamim, Mufti der Ukraine, mit Jakov Blaich, Oberrabbiner von Kiew und der Ukraine, und mit Papst Franziskus, dem Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche. Alle, alle diese Kirchenführer beten für unsere Verteidiger, für die Seelen unserer Verteidiger, die ihr Leben für unsere Ukraine gegeben haben, für unsere Einheit und für unseren Sieg. Dies ist sehr, sehr wichtig. Sie wissen, in Kiew war heute ein schöner sonniger Tag, ein Tag, den die Besatzer uns verderben wollten, so wie alle anderen Tage in unserer Geschichte. Gleichzeitig war es der erste Lebenstag eines Mädchens, das in der Nacht auf den Samstag in einem Schacht der Kiewer U-Bahn geboren wurde. Dort ist jetzt ein Schutzkeller.

Wir verteidigen uns gut, Sie wissen es aus den Medien. Ich will noch eine Sache sagen: Wir werden so lange kämpfen, wie es nötig ist, um unser Land zu befreien. Wenn schon in Schutzkellern Kinder geboren werden, während draußen die Bomben fallen, dann hat der Feind keine Chance in diesem Krieg, der eindeutig ein Krieg des ganzen Volks ist. Auf den Sieg. Ehre der Ukraine!

Ansprache des Präsidenten der Ukraine, Volodymyr Zelens’kyj am frühen 27.2.2022, 9 Uhr MEZ

Diese Nacht war schwer. Was sie machen, ist Rache! Das Volk ist aufgestanden, um seinen Staat zu verteidigen, und sie haben ihr wahres Gesicht gezeigt.

Sie planen, unsere Städte noch schlimmer zu bombardieren, unsere Kinder noch heimtückischer umzubringen. Das ist das Böse, das über unser Land gekommen ist, das vernichtet werden muss. Sie haben behauptet, dass sie die Zivilbevölkerung nicht anrühren werden – und sie haben gelogen. Seit den ersten Stunden des Überfalls greift die russische Armee zivile Infrastruktur an. Sie wählen bewusst die Taktik, gegen die Menschen vorzugehen, gegen alles, was ein normales Leben möglich macht. Kraftwerke, Krankenhäuser, Kindergärten, Wohnhäuser, alles wird tagtäglich beschossen. Das, was die Besatzer in Charkiw, Ochtirzy, Kiew, Odessa und anderen Städten und Dörfern anrichten, wird sie vor ein internationales Gericht bringen. Wir dokumentieren all diese Verbrechen, und es wären noch viel mehr, gäbe es nicht unsere mutigen Verteidiger. Die ukrainischen Soldaten, sie sind all Helden! Sie schlagen die Angriffe zurück, durchkreuzen die Pläne des Gegners, erledigen ihre Arbeit mit Bravour. Dies ist tatsächlich Arbeit. Eine schwere Arbeit, eine Arbeit von fundamentaler Bedeutung, und vor allem eine Arbeit für eine gerechte Sache. Eine Arbeit, die die höchste Wertschätzung verdient, die größte Dankbarkeit. Wir haben beschlossen, den Sold unserer Verteidiger beträchtlich anzuheben.

Ich muss es ihnen offen sagen: Der Preis wird hoch sein. Aber es gibt nichts Wertvolleres als für die Freiheit zu leben und zu kämpfen, für unsere Freiheit und für die Freiheit der kommenden Generationen. Es gibt jene, uns helfen, ganz real: Wir erhalten Waffen, Medikamente, Lebensmittel, Treibstoff, Geld, Benzin, es hat sich eine mächtige internationale Koalition zur Unterstützung der Ukraine. Eine Koalition gegen den Krieg.

Jetzt darf ich Ihnen noch die neusten Nachrichten von der diplomatischen Front mitteilen. Es gab sehr substantielle Gespräche. Mit dem Ministerpräsidenten der Niederlande, mit dem georgischen Präsidenten, mit den Ministerpräsidenten Tschechiens und der Slowakei, mit dem britischen Premierminister Johnson. Von allen habe ich Zusagen über konkrete Hilfen zur Verteidigungsfähigkeit unseres Staates und zur Stärkung unserer Streitkräfte erhalten.

Deutschland hat sich dazu entschieden, 1000 Panzerabwehrraketen und 500 Stinger-Raketen mit zusätzlicher Munition zu liefern, Belgien gibt 5000 Maschinengewehre, fünf Millionen Stück Munition und noch 4000 Tonnen Treibstoff.

Dank der intensiven diplomatischen Bemühungen ist es gelungen, die europäischen Staaten davon zu überzeugen, dass sie Russland aus dem SWIFT-System ausschließen. Ich denke dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda für seinen besonderen Einsatz in Sachen Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union. Die tägliche Hilfe Polens für unser Land ist äußerst wichtig.

Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Die Verbrechen Russlands gegen die Ukraine haben Merkmale eines Genozids. Darüber habe ich mit dem UN-Generalsekretär gesprochen. Russland ist auf dem Weg des Bösen. Die Welt muss sich dazu entschließen, Russland das Stimmrecht im UN-Sicherheitsrat zu entziehen. Wir wissen sehr genau, was wir verteidigen, wir werden zweifellos siegen. Ehre jedem einzelnen unserer Soldaten. Ehre der Ukraine!

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Claudia Dathe

Quelle: https://t.me/V_Zelenskiy_official


[1] Es handelt sich um die Metropoliten der beiden großen orthodoxen Kirchen in der Ukraine, jene des Kiewer Patriarchats und jene des Moskauer Patriarchats. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats.