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Ausstellungsprojekt Klosterneuburg 2024: „Wir, die Frauen von Klosterneuburg“. Kultur und Lebenswelt der Augustiner-Chorfrauen im Mittelalter

Projektbeschreibung

In Kooperation mit unseren Partnern an der Universität Wien, im Stift Klosterneuburg und vielen Experten zur Geschichte von Frauen- und Doppelklöstern im mittelalterlichen Europa ist für 2024 unter dem Titel „'Wir, die Frauen von Klosterneuburg'. Kultur und Lebenswelt der Augustiner-Chorfrauen im Mittelalter" eine Ausstellung zur Geschichte des Augustinerchorfrauenstiftes Klosterneuburg geplant.

Inspiriert von der apostolischen Nachfolge Christi wurde die Gemeinschaft in Klosterneuburg um 1133, wie so viele andere geistliche Institutionen der Zeit, durch Herzog Leopold III. und seine Gemahlin Agnes als ein Doppelkloster, eine Gemeinschaft von Frauen und Männern, gegründet. Man wählte für das ambitionierte Projekt die aufblühende und hochgebildete Reformgemeinschaft der regulierten Augustiner. Die junge Gründung, die der Herzogsfamilie und ihrem nächsten Umfeld als soziales und sakrales Zentrum diente, war der Jungfrau Maria geweiht. Wie es bei den Regularkanonikern üblich war, stand der Propst der Männergemeinschaft dem Gesamtensemble und damit auch der Meisterin der Frauengemeinschaft vor. Aber während andernorts die Doppelklosterkonstruktion meist noch im 12. oder spätestens im 13. Jahrhundert aufgegeben wurde, blieb hier in Klosterneuburg das Experiment viele Jahrhunderte, bis 1568, erhalten. Die Frauen waren hier sogar so erfolgreich, dass sie sich 1261 um eine weitere Dependenz, nämlich das Frauenstift Sankt Jakob in Klosterneuburg, erweiterten. Nach der Auflösung im 16. Jahrhundert jedoch fielen die Zeugen ihrer Existenz, ihr Hab und Gut, ihre Kunst und Skulptur, ihre Handschriften und Inkunabeln, die Verwaltungsschriftlichkeit und der gesamte Grundbesitz an das Männerstift. Aber vor allem fielen die Frauen von Klosterneuburg in Vergessenheit und zwar so nachhaltig, dass man sich in der Forschung nicht einmal mehr über das Patrozinium einig werden kann: die Jungfrau Maria oder Maria Magdalena? 

 

Hier setzt die geplante Ausstellung an. Die Quellenlage in Klosterneuburg bietet sich für die Wiederentdeckung der Rolle und Bedeutung der Frauengemeinschaften in besonderer Weise an und ist in jeder Hinsicht exzeptionell, weil so viele Quellen noch am Ort sind und auch der Ort selbst die Erinnerung an die Frauen von Klosterneuburg bewahrt hat, auch wenn diese  sozusagen mit einem „archäologischen“ Ansatz wieder an das Licht gebracht werden müssen. Die Frauengemeinschaften übernahmen im Mittelalter als klassische Aufgaben die Gebetsverpflichtung, das Totengedenken und die memoria der Familien, die Klöster dienten als Besitzzentren und Ort der Herrschaftsrepräsentation. In Ermangelung öffentlicher Bildungseinrichtungen für Frauen wurde ihnen die Erziehung und Ausbildung übertragen. Durch diese zentralen Aufgaben blieben die Frauenkommunitäten generationenübergreifend enger als die Männerkonvente mit den Stifterkreisen verbunden. Ihre Klöster dienten freilich nicht nur als dynastischer Erinnerungsort, sondern auch als eine Art gesellschaftlicher ‚Sonder- und Rückzugsraum‘– man könnte sagen, als eine Art ‚Reflexionsraum‘, der die Möglichkeit bot, die verschiedenen geschlechtergebundenen Rollenmodelle und Vorstellungen der eigenen Zeit gemeinsam zu verhandeln, zu tradieren oder anzupassen. Umgekehrt wirkten ihre religiösen Lebensentwürfe prägend auf die Gesellschaft zurück, da die geistlichen Frauen durch die besondere Lebensform eine Vorbildfunktion in der mittelalterlichen Gesellschaft ausübten. Die vielschichtigen Beziehungen und Interdependenzen zwischen dem ‚Sonderraum‘ Kloster und der Laienwelt und insbesondere der enge Austausch der Doppelgemeinschaft mit dem Herzogshaus waren in Klosterneuburg besonders eng, da hier neben Mädchen und jungen Frauen, auch Witwen eintraten oder Ehefrauen bei Abwesenheit ihrer Männer auf Zeit bei dem Konvent lebten. Klosterneuburg wurde damit zu einem geistlich-politischen Zentrum.

Wenn sich eine Gemeinschaft über mehrere Hundert Jahre durchzusetzen mag, muss es einen Existenzgrund geben, weshalb sie für eine Gesellschaft wichtig und unverzichtbar waren. Nicht anders als Institutionen oder Firmen heute bildeten auch die geistlichen Gemeinschaften spezifische Fähigkeiten und Potentiale aus, durch die sie in die Gesellschaft wirkten und sie prägten. Ein zentraler Aspekt für Klosterneuburg könnte die Erziehung der Laienmädchen und Frauen neben dem geistlichen Nachwuchs gewesen sein, denen in den Statuten und Rechnungsbüchern ein großer – für die Frauen und Männer gleichberechtigter Platz eingeräumt wird. Dazu bot sich das Setting als Doppelkloster natürlich besonders an, denn die hochgelehrten Augustiner-Chorherren nahmen an den mittelalterlichen Bildungsinstitutionen, den Lateinschulen und Universitäten teil und waren so auf der Höhe der Zeit. Die Frauen konnten daran partizipieren, weshalb ihre Gemeinschaft und ihre Klosterschule speziell attraktiv gewesen sein muss.

Diesen Aspekten wollen wir auf der Basis aktueller Forschungen nachgehen, die als neuen Ansatz neben der Geschichte, Kunstgeschichte und den Philologien die Liturgiegeschichte ins Zentrum rücken. Die Liturgie war nicht nur die zentrale Aufgabe der Frauen, um die sich ihre ganze Lebensform entwickelte, sondern ist zugleich kondensierte und gedeutete Erinnerung und Sinndeutung, ein spezieller und höchst anspruchsvoller Wissensraum. Daneben bieten die Klosterneuburger Quellen viel zur materiellen Kultur der Frauen und der Männer, zum Verwaltungswissen und der Rechnungsführung. Das besondere Potential des Ansatzes besteht darin, die Frauengemeinschaft nicht „auszuschneiden“, sondern der Situation in Klosterneuburg wird man nur gerecht, wenn wir die Männer und Frauen in ihrem engen Zusammenwirken betrachten. Wir möchten das mit dem methodischen Ansatz des „Wissensraums Kloster“ machen, der als ein gegenderter Wissensraum strukturiert war: Beide Teile, die Männer und die Frauengemeinschaft waren eng miteinander verbunden waren durch Predigt, Beichte, den Austausch von Büchern und Wissen, wiesen aber dennoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Aufgaben in der Gesellschaft spezifische Unterschiede auf. So war die Kultur in der Frauengemeinschaft weitgehend deutschsprachig, die Männergemeinschaft lateinsprachig. Die Frauen waren als Rückzugs- und Bildungsraum attraktiv und wirkten durch die Erziehung und Ausbildung sowohl von Laienkindern als auch des eigenen geistlichen Nachwuchses nachhaltig in die Gesellschaft. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass eine Gesellschaft Sonderräume und Sonderbildungsräume für Frauen ausbildet und dem Raum geben will. Diese für unsere heutige Kultur wichtige Entwicklung lohnt es sich durchaus wiederzuentdecken.

Verantwortlichkeit: