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Kapitel 4: Rückreise nach Taschkent und Eindrücke aus Usbekistan

Eisenbahnromantik, olfaktorische Erlebnisse und Hausarbeiten

Als ich im Frühjahr 2023 die Exkursion plante und für unsere Rückfahrt von Buchara nach Taschkent feststellen musste, dass wir wohl oder übel mit dem Nachtzug Xiva-Andijon der O’zbekiston Temir Yo’llari zurückkehren müssten, schwebte mir kurz vor, dass ich entweder von schockierten deutschen Studierenden gelyncht oder aber beim Tagesprogramm für den nächsten Tag mit einer verschlafenen und dauergähnenden Gruppe zu tun haben würde. Nichts davon trat ein.

Etwa acht Stunden sollten wir unterwegs sein. Das klingt zunächst romantisch: In einem Viererabteil über die Schienen hinwegschweben und Eindrücke von der Landschaft gewinnen, interessante Orte und beeindruckende Natur an sich vorbeiziehen lassen. Zugfahrten im postsowjetischen Raum mit sowjetischem Rollmaterial haben allerdings so ihre Eigenheiten. Der Platz ist begrenzt, man holpert eher über die Schienen als das man schwebt, der Komfort mag gewöhnungsbedürftig, der Zustand der Toiletten mehr als mangelhaft sein und Abteilnachbar:innen können einen mit Gerüchen von Speisen oder Körpern belästigen. 

Romantik und olfaktorische Belästigung gehen aber – wie wir feststellen durften – Hand in Hand. Wichtig ist letztlich die Gesellschaft und da hatten wir Glück, denn immerhin hatten wir einige Abteile für uns (verpassten dadurch aber zugegebenermaßen tolle Bekanntschaften mit usbekischen Großmütterchen, die wir hätten machen können).

Am Nachmittag verließen wir also Buchara und standen am Bahnhof dann vor unserem blau- weiß-grünen Express – ja, auch Züge müssen nationalen Ansprüchen standhalten und die Farben der Nationalflagge abbilden. Wir drängten uns alsbald durch die engen Gänge der Waggons hin zu unseren Abteilen. Natürlich hatten sich alle auf die Empfehlung derjenigen, die postsowjetische Zugfahrten schon kannten, vorab mit reichlich usbekischem Bier und Cognac sowie mit Doširak (abgepackten Nudeln, die mit Wasser aufgegossen werden) ausgestattet. Verwunderung über unseren Aufenthaltsort für die nächsten paar Stunden gab es durchaus, dass ich nicht gelyncht werden würde, verstand ich aber recht schnell, denn es siegten Neugier und Interesse an dieser Art zu reisen. Der einzige große Kritikpunkt sollte der Zustand der Zugtoilette bleiben – und das wohl zurecht.

Bald hatten alle ihren Platz gefunden und unsere Abteile sich entsprechend der Beschäftigungen zusammengefunden: Zum Schlafen, Quatschen und Bier trinken (aber bitte so, dass der Schaffner es nicht sieht) und zum Arbeiten (während der Fahrt soll doch tatsächlich noch eine Hausarbeit entstanden sein). Die Zugfahrt wurde zu einer erholsamen Zeit des Austauschs und der Arbeit – wenigstens für einige – und zu einer Erfahrung, die einen neuen, entschleunigten Reisemodus zeigte. Nach etwa acht Stunden trafen wir pünktlich auf die Minute (ich spare mir hier den Seitenhieb auf die DB) am Taschkenter Südbahnhof ein.

Phillip Schroeder

wo schmeckt es am besten?

Diese Frage beschäftigte uns auf unserer Exkursion viele Male. Dabei fragten wir
uns in welcher Stadt gibt es das leckerste und aromatischste Brot in Usbekistan. Schon vor der Exkursion hörten wir von den Besonderheiten des usbekischen Fladenbrotes oder auch „Lepyoshka“ genannt. Auf unserer Exkursion besuchten wir die Städte Taschkent, Samarkand und Buchara, wodurch wir die Möglichkeit hatten unterschiedliche Brote zu kosten und miteinander zu vergleichen. Das Brot spielt nicht nur in der deutschen Gesellschaft eine wichtige Rolle, sondern auch in der usbekischen Gesellschaft. Die Vorliebe für gutes Brot teilen wir gemeinsam. Bei dieser großen Vielfalt wollten wir für uns rausfinden, wo es nun das beste Brot gibt. Einige Sorten waren aus luftigem Teig und manche fester und dichter, wobei jedes Brot einen individuellen Geschmack hatte. Es war für jeden etwas dabei! Direkt an unserem ersten Tag in Usbekistan besuchten wir den Chorsu-Basar in Taschkent. Dort brachte unser Reiseführer uns in die Bäcker- und Brotabteilung des Marktes, wo es wunderbar nach frischem und heißem Brot duftete. Live vor unseren Augen haben die Bäcker:innen das Brot in den traditionellen „Tandir“ Öfen gebacken. Bei diesem Anblick läuft vielen das Wasser im Mund zusammen. Natürlich probierten wir das heiße Brot direkt aus dem Tandir. Einige der Exkursionsteilnehmer sprachen davon, dass es das beste Brot sei, was sie jemals in ihrem Leben gegessen haben. Am Ende der Reise und viele Brote später kann ich diese Aussage nur bestätigen und küre das Brot vom Chorsu-Basar als meinen persönlichen Favoriten. Am besten schmeckt das frische Brot mit einer heißen Tasse schwarzem Tee mit Zucker und Zitronen.

Daniela Akinin

navruz

 Das Frühlingsfest in Taschkent

Pünktlich zum Frühlingsfest waren wir wieder in der Hauptstadt Usbekistans. Einen ganzen Tag lang konnten wir das umfangreiche Angebot an Festlichkeiten genießen, welches von Liveshows, vielen Lichtern und vor allem viel Musik geprägt war. In individuellen Gruppen konnten wir die Stadt noch einmal auf eine andere Art erkunden. Ob es bei einer Show über mittelalterliche Bräuche war, bei der Verkostung von Sumalak oder bei einem Fotoshooting bei einer der vielen Social Media-Stationen und Aufbauten. Von Tashkent City bis hin zum vom Pepsi Cola gesponserten Magic City Park erleuchtet die Stadt bis in die Nacht. So bemerkten viele von uns auch nicht, dass es sich bei den Vibrationen, die wir gegen Abend kurz, aber wiederholt verspürten, nicht um die Metro handelte, sondern um Erdbeben.

Tamara Mansaray

der letzte tag

 Wiedersehen und Abschied

An unserem letzten vollen Tag in Usbekistan wurden wir zu einer Ausstellungseröffnung am Mukhtar Aschrafi Museum eingeladen. Aschrafi war ein bedeutender usbekischer Komponist und das Museum befindet sich in seinem alten Wohnhaus, wo er, wie uns bei der Tour gesagt wurde, auch gestorben ist. Das Haus sei noch in dem gleichen Zustand, wie es bei seinem Tod vorgefunden wurde. Bei dem Event sahen wir auch ein paar bekannte Gesichter wieder, wie den Leiter des nationalen Archivs für Kinofotofonodokumente. Als Abschiedsgeschenk erhielt jede:r von uns eine Schallplatte mit Musik von Aschrafi.

Als wir in der Nacht ein zweites Mal wachgerüttelt wurden, wurde uns etwas klarer, was es bedeutet in einem Erdbebengebiet zu leben. Zwar war die Erfahrung für uns ungewohnt, allerdings sind die Gebäude Taschkents nach der Erfahrung des Erdbebens von 1966 erdbebensicher aufgebaut worden. So gab es auch keine Schäden und wir konnten in Echtzeit miterleben, wie die digitalen Warnsysteme und Datenerfassung des Landes funktionieren. Am 23. März früh morgens fuhren wir zum Flughafen und schließlich war es an der Zeit für uns, Usbekistan wehmütig zu verlassen.

Tamara Mansaray

usbekisch-sowjetische klang- und bildwelten

Mukhtar Aschrafi – ein Name, der in Westeuropa, leider, weitestgehend unbekannt sein dürfte. In Usbekistan klingt er dafür umso mehr, denn hier gilt er als einer der herausragendsten Komponisten und Dirigenten, war in der Sowjetunion „Volkskünstler“ und Gewinner von „Stalinpreisen“. Von ihm stammen Werke wie die Opern Buran und Dilaram oder Orchesterwerke zum Zweiten Weltkrieg, wie „Die Heroische“. Das Treffen mit dem Werk dieses Komponisten und denjenigen, die es bis heute bewahren, fand eher zufällig statt: Unser guter Freund aus dem Archiv für Kinofotofonodokumente, Alidzhan-aka, schlug uns vor, dass wir uns mit der Museumsdirektorin des Aschrafi-Museums, Natalija Gunova, in Taschkent treffen. Sie lud uns prompt zu einer Ausstellungseröffnung mit Konzert ein – natürlich, ganz usbekisch, mit anschließender Einladung zum Essen.

Dennoch mussten auch wir erst einmal den Komponisten kennenlernen und erhielten deshalb ein liebevoll improvisiertes Museums- und Ausstellungseröffnungs-Programm. Im Museum angekommen entführte uns zunächst Adiba Sharipova, Professorin für klassisches Klavierspiel am staatlichen Konservatorium Usbekistans, und erzählte uns über sein Leben und sein Werk. Wir waren tief beeindruckt über ihr Detailwissen, dass sie auch ganz spontan mit uns teilte.

Weiter ging es mit einem fast schon wissenschaftlichen Programm, das uns abermals den Kulturbetrieb in Taschkent näherbringen sollte. Im kleinen aber feinen Konzertsaal des Museums erwarteten uns spannende Beiträge von Größen des Taschkenter Kunst- und Musikbetriebs und musikalische Beiträge der Student:innen von Professor Sharipova. Im Anschluss durften wir der Ausstellungseröffnung mit Werken der jungen Künstlerin, Anastasija Tiljaeva, teilnehmen und ihre Werke bewundern. Nicht nur die Beiträge waren für uns ganz spannend anzuhören, sondern auch mitzuerleben, wie eine junge Künstlerin erstmals ihre Werke ausstellt, war eine besondere Erfahrung. Natürlich durfte auch im Aschrafi-Museum Gastfreundschaft nicht fehlen. Jede:r von uns erhielt als Geschenk eine Aschrafi-Schallplatten aus der Sammlung des Museums, um seine Klänge in die Welt hinauszutragen.

Phillip Schroeder

schlußwort

Der Leiter des Nationalarchivs für Kinofotofonodokumente, Alidzhan Makhkamov, erzählte uns, dass man bei seinem ersten Besuch zum Freund der Usbek:innen und bei seinem zweiten Besuch zur Familie wird. Auch wenn das vermutlich vor allem im übertragenen Sinne stimmt, lässt sich jedoch auch eines mit Gewissheit sagen: Eine solche Reise machte uns nicht nur zu Freund:innen der Usbek:innen, sondern brachte uns als Gruppe auch näher zusammen. Vor Reiseantritt kannten wir uns kaum, keiner wusste so recht, wie sich unsere Gruppendynamik entwickeln würde. Doch die Distanzen zwischen uns waren schnell überwunden und nicht selten saßen wir abends zusammen und tauschten uns über den erlebten Tag aus. Die Reise war also nicht nur etwas, das unsere Neugierde befriedigte und uns mit Wissen versorgte, sondern uns auch auf einer sozialen Ebene bereicherte. Denn manche von uns kamen nicht als einfache Kommiliton:innen zurück, sondern als Freunde.

Unsere Reise war nicht nur eine räumliche, sondern auch ein zeitliche. Während wir uns im Rahmen des Seminars vor allem mit der Entstehungsgeschichte des heutigen Usbekistans und seiner Zeit als sowjetische Republik beschäftigt hatten, trug uns unsere Reise noch hunderte Jahre mehr in die Vergangenheit und führte uns von der Antike in die Moderne. Dieses Land zeigte uns eine solche historische Tiefe und Vielfalt, die der uns bekannten europäischen in nichts nachsteht und trotzdem für die meisten unter uns in dieser Fülle weitestgehend unbekannt war. Im Kontrast dazu war es auch erstaunlich, wie sehr die Menschen in Usbekistan über Deutschland informiert waren und wie viele von ihnen dazu noch unsere Sprache lernten. Von Schüler:innen, die zum Studieren nach Deutschland kommen wollen, hin zu Student:innen und Fremdenführer:innen, die schon dort waren oder gar ihren Abschluss gemacht haben. In Kombination mit der allgegenwärtigen Gastfreundschaft erschien es uns ungerecht, dass Usbekistan kaum in der westeuropäischen Wahrnehmung Platz findet. Dieses Werk wurde mit dem Anspruch geschaffen, etwas an diesem Umstand zu verändern.

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Diese verbreitete Metapher kann als Sinnbild für unseren vorliegenden Foto-Erfahrungsbericht betrachtet werden. Denn mit den Eindrücken, die wir bei unserem Besuch in diesem uns einstmals fremden Land sammeln durften, kann sich ein ganzes Buch voller Beschreibungen und Ausführungen füllen lassen und doch nie den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Und auch wäre in Frage zu stellen, ob wir Sie, als Leser:innen, die nicht dasselbe erlebten wie wir, durch einen reinen Text auf diese Reise hätten mitnehmen können und so wollten wir mit der gesammelten Kraft der Bilder einen Ausschnitt unserer Eindrücke mit Ihnen teilen. Dennoch kommt ein solcher Bericht nicht ohne Worte aus, wie in diesem Fall angeleitet durch einen Einblick in unseren Vorwissensstand und weiterführender Literatur in Franca Herms Einleitung und durch den umfassenden Bericht Tamara Mansarays, der einige der Bilder in einen Kontext des Erlebten einbettet. Zusätzlich wollten wir es uns auch nicht nehmen lassen ein paar unserer persönlichen Erfahrungen in Worte zu fassen, eingerahmt von der Aussagekraft der Bilder. Zwar haben wir alle dieselben Dinge gesehen und erlebt, die nun auch die geneigten Leser:innen und Betrachter:innen in diesem Bericht erblicken konnten, doch so unterschiedlich wie unsere Vorkenntnisse und Interessen waren, so divers war der Blick eines jeden Einzelnen. Seien es Städte wie Samarkand oder Buchara bei Tag oder bei Nacht, architektonische Details an Wohnhäusern, Geschäften und Monumenten, oder der Bewunderung für usbekisches Handwerk. Sie konnten bei der Lektüre feststellen, dass der Blick auf Erlebtes und Gesehenes ganz unterschiedlich sein kann. Es war eine schier überwältigende Anzahl an Begegnungen und Besichtigungen, die wir durchliefen und dennoch weniger, als dieses facettenreiche Land uns bieten konnte. Auch die für diesen Bericht ausgewählten Bilder sind im Grunde nur ein Bruchteil unserer Erfahrung, ein zärtliches Kratzen an der Oberfläche.

Wie eingangs beschrieben und in manchen Reise- und Erfahrungsberichten auch aufgegriffen, stellt sich abschließend nun die Frage, wie sich unser Bild von Usbekistan im Zusammenhang mit einer vom Orientalismus und den damit verbundenen Stereotypen und der Fremdheit geprägten Wahrnehmung verändert oder gehalten hat. Schon vorab konnten im Seminar Änderungen in der eigenen Wahrnehmung erkannt werden. So waren die Begriffe, die wir mit Usbekistan in Verbindung brachten zu Beginn des Seminares deutlich mehr mit Schlagwörtern, Halbwissen und Vorurteilen behaftet, zum Ende hin, kurz vor der Reise, schon deutlich differenzierter und tiefgehender. Doch das theoretische Wissen, das wir uns angeeignet hatten, musste sich nun der Realität stellen und somit gingen wir mit offenem Geist und starkem Interesse an das Unbekannte. Schnell konnten wir viele der Lücken und Unwissenheit beseitigen, Vorurteilen die Substanz nehmen und an einer selbstkritischen Erfahrung teilhaben. Doch bis zum Ende haftete vielen Stationen unserer Reise eine gewisse Mystik und Fremdheit an, die jedoch durch touristische Bestrebungen auch gefördert wird. Nicht selten verweilten wir andächtig an Orten voller Geschichten und fühlbarem Zauber. Oder wie Prof. Dr. Anke Hilbrenner es ausdrückte: „Die einzige Exkursion, die man aus einem Museum herauszerren muss.“

Diese Schlusszeilen sind eine Mahnung und eine Bitte an die geneigten Leser:innen. Machen Sie nie halt davor Ihr eigenes Wissen zu hinterfragen und Platz für neue Erfahrungen zu schaffen. Denn keine:r der Exkursionsteilnehmer:innen hätte sich vorab ausmalen können, welche Bereicherung diese Exkursion für jede:n einzelne:n von uns werden würde. Auch wenn wir ein Land nur mit Müh und Not auf der Weltkarte verorten können, kann uns dieses doch mit unschätzbaren Erlebnissen und Bekanntschaften näherbringen. Abschließend möchte ich mich, falls Sie es bis hierhin geschafft haben, im Namen aller Exkursionsteilnehmer:innen bedanken und wir denken, dass wir mit diesem Foto- Erlebnisbericht unseren Beitrag dazu leisten konnten und unseren eigenen Anspruch zu erfüllen, mehr Aufmerksamkeit auf dieses Land und diese Region zu lenken, die Interessierten zu einem eigenen Besuch inspirieren und unsere eigenen Erinnerungen lebendig zu halten. Denn für so gut wie alle von uns stand am Tag unserer Abreise eines fest: Wir möchten zurückkehren, sei es in ein, zwei Jahren, um noch mehr zu entdecken oder in einer Dekade, um zu sehen, wie sich dieses aufstrebende Land weiter entwickelt hat.

Leon Schellhas

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