Jump to contentJump to search

Der Ausbau des Jiddischen zur Nationalsprache der sowjetischen Juden (1918–1941)

Im Fokus des Projekts steht das wenig erforschte Konzept ›sowjetisches Jiddisch‹ als Nationalsprache der sowjetischen Juden. Wenige Jahre nach der Oktoberrevolution wurde der Status des Jiddischen als die Sprache der jüdischen nationalen Minderheit gefestigt – ein einmaliges Ereignis in der Geschichte der jiddischen Sprache, die noch im frühen 20. Jahrhundert als ›Jargon‹ stigmatisiert wurde. Die Sowjetunion blieb das einzige Land, wo die Bestrebungen der jiddischen Sprachaktivisten verwirklicht wurden und Jiddisch offizielle Anerkennung als eine Nationalsprache bekam.

Der Ausbau des Jiddischen zur Nationalsprache der sowjetischen Juden geschah im Spannungsfeld zwischen der jiddischistischen Vision, die hauptsächlich vom Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund seit der Jahrhundertwende herausgearbeitet wurde, und der sowjetischen Sprachplanung im Rahmen der Nationalitätenpolitik (korenizacija, ›Einwurzelung‹). Die Entwicklungsmöglichkeiten der jiddischen Sprache wurden auf Seiten der Tageszeitungen und professionellen Zeitschriften diskutiert; seit der Mitte der 1920er Jahren gab es akademische linguistische Publikationen; in den 1930er Jahren erschienen in Moskau einige der wertvollsten Werke jiddischer Grammatik. Diese Entwicklungen lieferten ein Pendant zu den Standardisierungsprojekten des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts (YIVO, gegründet 1925 in Berlin), dessen philologische Abteilung in Wilna tätig war.

Das Sprach- und Kulturprojekt der sowjetischen Juden wurde von Zeitgenossen unter dem Stichwort ›sowjetisches Jiddisch‹ zusammengefasst. Unser Projekt stellt eine genaue Untersuchung dieses Begriffs anhand folgender Fragestellungen dar:

1. Wie entwickelte sich der Begriff ›Nationalsprache‹ bei Juden seit dem frühen 20. Jahrhundert? Welche Kontinuitäten und Diskrepanzen entstanden zwischen diesem Begriff im nicht-sowjetischen und im sowjetischen Raum?

2. Welche travelling concepts enthalten jiddische Grammatikwerke in der Sowjetunion? Welche Korrespondenzen gab es in der jiddischen Sprachforschung jenseits der sowjetischen Grenze einerseits, in der sowjetischen Linguistik andererseits?

3. Wie ist das Konzept ›Sprache‹ mit dem Konzept ›Nation‹ verbunden? Inwiefern spiegelt die staatliche Förderung des Jiddischen in der Sowjetunion ihre Politik in Bezug auf Juden als nationale Minderheit?

Das Projekt greift auf die Methoden der historischen Diskursforschung, um den sowjetischen sprachwissenschaftlichen Diskurs auf Jiddisch zu rekonstruieren. Zentral für alle Fragestellungen ist die kulturhistorische Perspektive. Die komparatistische Untersuchung des sprachwissenschaftlichen Diskurses ermöglicht eine differenzierte Darstellung des Konzepts ›sowjetisches Jiddisch‹. Die Erschließung des sowjetisch-jiddischen Raums aus der Sprachperspektive basiert auf der für die moderne jiddische Kultur essenziellen Verbindung der Sprache mit der Nation und liefert einen wichtigen Beitrag in die Kulturgeschichte des Jiddischen.

Projektlaufzeit: 01.01.2021–31.12.2023.

Responsible for the content: