Dissertationen
Phillip Schröder
In meinem Dissertationsprojekt beschäftige ich mich mit der Implementierung von Mobilitätsinfrastrukturen in sowjetische Stadträume. Anhand von Stadtentwicklungsplänen, Planungsprozessen städtischer Mobilitätsinfrastrukturen und ihrer konkreten Ausgestaltung untersuche ich Sichtweisen und Interpretationen der städtischen Räume Leningrads und Taschkents. Nicht zuletzt geraten hierbei Wechselwirkungen bei Entscheidungsprozessen innerhalb der Sowjetunion – beispielhaft zwischen Moskau, Leningrad und Taschkent – in den Fokus.
Wahrnehmungen und Interpretationen von Raum unterscheiden sich je nach Perspektive deutlich. Geprägt werden sie vor allem durch Nähe oder Distanz zum besagten Raum, seiner Nutzung bzw. der Beziehung zu ihm, seiner Erfahrbarkeit und ebenso durch übergeordnete Konzepte und Ideen, die mit ihm verbunden sein mögen. Städtische Räume erfuhren im Rahmen ihrer Entwicklung eine umfassende Ordnung und vielfache Bedeutungszuweisungen; verstärkt wurde und wird diese Tendenz durch Infrastrukturen. Seitdem sich im 19. Jahrhundert die räumliche Verbindung von Arbeits- und Wohnort immer mehr auflöste, nahm die Rolle von Mobilität innerhalb städtischer Räume immer mehr zu. Zunächst Kutschen, später Züge, Trams, Busse sowie S- und U-Bahnen ordneten den Raum und ließen neue Stadtkonzepte, Ordnungsmuster sowie Pfadabhängigkeiten entstehen. Städtische Räume konnten aufgrund ihrer Zugänglichkeit, Anbindung oder ihrer infrastrukturellen Erschließung neu bewertet und reinterpretiert werden. In der Sowjetunion wurden Stadtplanung und innerstädtische Mobilität zu Systemfragen, die auf räumliche Strukturen trafen, denen das neue politische System ablehnend gegenüberstand.
Die Sowjetunion zeichnete sich durch einen umfassenden Zentralismus aus – seit der Oktoberrevolution konzentrierte sich die Macht in der ‚neuen alten‘ Hauptstadt Moskau. Die Machthabenden entschieden aus diesem Moskauer Kontext heraus über das Schicksal des gesamten Landes und nahmen ebenso Einfluss auf regionale Angelegenheiten; so auch auf die Entwicklung Leningrads und Taschkents. Diese beiden Fallbeispiele ermöglichen, Moskaus Verhältnis zum ehemaligen Zentrum des Reiches – der früheren Zarenstadt – auf der einen Seite und zur bedeutendsten Metropole im sowjetischen Zentralasien auf der anderen Seite zu betrachten. Außerdem werden Transfer- wie auch Wechselwirkungsprozesse hinterfragt. Moskauer Vorgaben enthielten nicht nur technische oder infrastrukturelle Konzepte, sondern ebenso Erfahrungswerte und klare Interpretationen der Räume, in die diese Konzepte integriert werden sollten. Hiermit trafen verschiedene Perspektiven hinsichtlich der städtischen Identitäten aufeinander: zum einen der von ideologischen Gedanken geprägte Blick des Zentrums, zum anderen regionale städtische Bedürfnisse.